Krieg um Worte

26. September 2009

Lieber Richard!

In einem Kommentar zu einem Artikel auf netzpolitik.org batest Du darum, den Begriff “Linux” nur für den Kernel zu verwenden und “GNU/Linux” für das Betriebssystem.

Richard, Du hast Recht. Die korrekte Verwendung von Termini ist wichtig. Ja, die Welt da draussen kümmert sich oft nicht darum. Der falsche Begriff “Linux-Betriebssystem” hat sich weit verbreitet. Ja, es ist nicht fair gegenüber dem GNU-Projekt, ohne das der Linux-Kernel sinnlos wäre. Fachlich kann und will ich Deinen Argumenten nicht widersprechen.

Leider wird der Sprachgebrauch im Alltag auch oft von anderen Kriterien als Genauigkeit bestimmt. Die Menschen da draussen reden, wie sie wollen. Hat ein Begriff, korrekt oder weniger korrekt verwendet, eine kritische Masse im alltäglichen Gebrauch erreicht, muss anerkannt werden, dass er eben so verwendet wird. Es mag falsch sein. Es mag uns nicht passen. Es hilft nichts. Er ist in der Welt, und wird er noch so falsch verwendet.

Sprache unterliegt Veränderung. Die wird aber nicht im linguistischen Elfenbeinturm standardisiert, sondern durch ihren Gebrauch. Wir sagen sehr oft “Amerika”, wenn wir eigentlich die “USA” meinen. Euer “technology” hat sich hier als “Technologie” eingebürgert, obwohl meistens “Technik(en)” (technics) gemeint ist. Viele, vor allem Politiker, reden hier viel Unsinn über das “Internet” und meinen eigentlich das “WWW”. Mich ärgert das genauso wie “Linux” statt “GNU/Linux” oder “Open Source” statt “Freie Software”.

Ich halte es nicht für zielführend, als allererstes im Gespräch mit Menschen die Begriffe zu klären. Ja, wir sollten Vorbild sein. Ja, wir sollten aufklären – auch zum richtigen Gebrauch der Termini. Aber sollten wir nicht zuerst in der Sache diskutieren und später, sozusagen nebenbei, die Worte korrigieren?

Du und ich, wir werden nicht jünger. Sollen wir auch in 20 Jahren, wenn die Welt immer noch “Linux” sagt, jeden Gesprächspartner als allererstes darauf stossen, dass das falsch ist?

Ich habe ein Bild vor Augen: In 20 Jahren sitzen wir beide, auf unsere Stöcke gestützt, auf einer Bank vor dem Altenheim bei einem guten Wein in der Abendsonne und schwärmen von den guten alten Zeiten, als “Linux” noch “GNU/Linux” war und “Open Source” noch “Freie Software” genannt wurde. Ein schönes Bild? Nein, denn unser Pfleger wird sagen: “Ist ja gut, Opas. Ich achte darauf. Morgen. Vielleicht. Richard, hier hast Du Deinen Blasentee. Und Rainer: Du weisst doch, Du darfst Dich nicht aufregen. Hast Du schon Deine Herztropfen genommen…?”

Du und ich, lieber Richard, wollen ernstgenommen werden. Heute und in 20 Jahren. Das geht nicht, wenn wir unsere Prioritäten als allgemeingültig ansehen. Oft haben unsere Gesprächspartner andere Prioritäten. Passen wir für den Verlauf eines Gesprächs die Unseren an, können wir viel leichter überzeugen.

Beim Besuch einer “Linux User Group”, mit denen ich über alles mögliche fachsimpelte, verwies ich irgendwann auch auf die korrekten Begriffe. Zwischendurch. Mittendrin. In drei Sätzen. Ergebnis: Eine Woche später stand auf den WWW-Seiten dieser Gruppe plötzlich “GNU/Linux” statt “Linux”. Na also. Geht doch!

Lieber Richard, Kriege um Worte sind nicht zu gewinnen. Von niemandem. Ich führe sie gar nicht erst. Ich überzeuge lieber. Nix für ungut!